Es ist ein beachtlicher Bücherstapel, den der literarische Kreis von KHG Kultur in mittlerweile vier Jahren monatlicher Treffen gelesen und diskutiert hat. Antonia stellt uns hier ihre persönliche Auswahl der besten Werke vor, garniert mit dem ein oder anderen Tipp für die weitere Lektüre. Und hoffentlich schon bald wieder könnt ihr euch face-to-face in die Treffen unserer literaturbegeisterten Menschen einbringen.
Kamel Daoud: Der Fall Meursault
Es war ein warmer Sommertag, als die literarische Runde von KHG Kultur quasi in der algerischen Wüste mit Kamel Daouds »Der Fall Meursault — eine Gegendarstellung« startete. Das Buch knüpft an Albert Camus‹ Roman »Der Fremde« an und erzählt die Geschichte des Arabers, der von einem Fremden namens Meursault erschossen wurde. Camus‹ vielleicht bekanntestes Werk »Die Pest« ist leider vergriffen in diesen Tagen, aber vielleicht lohnt es sich mit Blick auf die Situation in den von Corona heimgesuchten Ländern sogar noch mehr, sich mit einem Plot auseinander zu setzen, in dem namenlose Tote eine Stimme bekommen.
Sarah Kirsch »Gedichte«
Ich seh es vom Fenster
Auf dem Weg spazieren
die falschen Leute.
Anstatt sich darüber zu ärgern, empfehle ich Gedichte von Sarah Kirsch zu lesen. Sie schafft es, den kleinen Dingen des Alltags mit so viel Poesie Zauber einzuhauchen, dass sie bedeutend werden. Auch mit Sehnsucht nach gleichzeitig nahen und fernen Menschen kennt sie sich aus:
Er ist eine Stunde Sommerzeit entfernt. Ich kann ihn anrufen Haare waschen Blumensträuße kaufen, Eidechsen fangen Geld verlieren Brunnen auf- oder zudrehen übern Abgrund laufen lachenundweinen Telegramme schicken dem oder jenem, meinem Kind eine Strickjacke stricken gar nichts tun.
Josef Roth: Radetzkymarsch
Nicht nur für erklärte Liebhaber der Donaumonarchie ein Genuss: Parallel zum Schicksal des alternden Kaisers Franz Joseph I. wird hier der österreichische »Verfall einer Familie« zur Parabel auf die Geschichte der Habsburger. Drei Generationen der Familie von Trotta begleitet der Leser von der glorreichen Schlacht bei Solferino bis zu den Anfängen des ersten Weltkrieges in Joseph Roths sentimentalem, wundersamem, berührendem Meisterwerk.
Alice Munro: Was ich dir schon immer sagen wollte
In ihren berühmten Kurzgeschichten wiegt Nobelpreisträgerin Alice Munro den Leser in scheinbar banalen Settings in Sicherheit, um dann tief brodelnde Konflikte so lautlos wie gewaltig zu entlarven. Begegnungen zwischen Generationen und Geschlechtern werden in nonchalantem Erzählstil dennoch dramatisch inszeniert. Postboten, Hausfrauen und unglückliche Schwägerinnen sind ihre oft tragischen Helden.
Mathias Énard: Kompass
Das ist mein persönliches Lieblingsbuch. Der etwas phlegmatische Musikwissenschaftler Franz siecht in Wien an einer unbenannten Krankheit dahin und lässt sein Leben Revue passieren: Die Forschungsreisen in den Nahen Osten, immer auf der passionierten Suche nach verbindenden Elementen zwischen Orient und Okzident. Die Liebe zu Sarah, der wunderschönen französischen Orientforscherin. Dabei kann man sich nicht nur dem Zauber dieses faszinierenden Romans von Mathias Énard hingeben, sondern bekommt in Manier von »Tausendundeiner Nacht« eine Vielzahl an literarischen, musikalischen und kulturellen Empfehlungen als Dreingabe.
Olga Tokarczuk: Taghaus, Nachthaus
»Olga wer?«, wurde ich noch in der Woche nach der Nobelpreisverleihung von einer Buchhändlerin gefragt. Plötzlich wurde Olga Tokarczuk von der unbequemen Regimekritikerin zur polnischen Nationalheldin, dabei sind ihre Romane auch ohne Kenntnisse der politischen Feinheiten unseres Nachbarlandes ein Hochgenuss. So fortschrittliche, aktuelle Themen wie Transgender bettet sie in einer märchenhaft anmutenden Erzählweise neben die großen Fragen der Menschheit und verwebt undefinierte Zeitströme miteinander, ohne das große Ganze aufdringlich aufzulösen. Die Handlung? Existiert, ist jedoch nicht das Zentrale. Auch alle anderen ihrer Werke lohnen die Lektüre.
Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes
Wer nicht nur Zeit zu lesen hat, sondern auch Lust, darüber zu sprechen: Am 16. April laden wir um 18.30 h herzlich ein, per Videokonferenz mit Gabriel García Márquez »Chronik eines angekündigten Todes« in die Welt des magischen Realismus einzutauchen und gefühlten »Hundert Jahren Einsamkeit« entgegenzuwirken.
Unser literarisches Online-Gespräch werden wir mit Hilfe von ZOOM führen, den Link dazu geben wir rechtzeitig hier und auf der KHG-Facebook-Seite bekannt. Wir freuen uns auf euch!
PS.: Bücher gibt es nicht nur beim »großen A.…«, sondern auch bei regionalen Buchhändlern eures Vertrauens schnell und versandkostenfrei geliefert. Außerdem lohnt sich ein Blick in die »Onleihe« der Stadtbüchereien.
Text & Titelbild © Antonia Feyrer