Blaue Stunde „Zeige deine Wunde“

Im Zeitalter von Social Media haben wir alle gelernt, uns zu präsentieren. Wir investieren oft große Mühe, um uns von unserer besten Seite zu zeigen. Wir arrangieren die Szenen und Momente, die wir dann fotografisch für unser Profilbild festhalten, manchmal helfen wir auch noch ein wenig dabei nach, damit das Bild so wird, wie es sein muss: glatt, strahlend, makellos.

Verletzungen hingegen möchten wir am liebsten verbergen. Die meist nur vermeintlichen äußeren kleinen Schönheitsfehler und noch mehr die inneren, seelischen Schrammen. Und dabei sind es gerade diejenigen Seiten an uns, die nicht perfekt sind, die am ehesten unsere Individualität ausmachen. In der glatten, retuschierten Oberfläche sind sich alle mehr oder weniger gleich. Jede Wunde aber hat ihre eigene Geschichte.

Die Begegnung, die uns das Evangelium des heutigen Sonntags schildert, macht das deutlich: Thomas, der nicht glauben kann, dass der gekreuzigte Jesus wirklich lebt, erkennt den Herrn gerade an seinen Wunden wieder. Jesus hat sich verletzlich gemacht. Er lässt sich berühren, er lässt es zu, dass wir den Finger in seine Wunde legen. So macht er sich auch für uns erkennbar.

In dieser Blauen Stunde feiern wir Ostern – aber nicht als einen Triumph, der alle offenen Fragen, alle Verletzungen und Wunden einfach wegwischt. Auferstehung kann für uns persönlich vielmehr heißen, dass wir uns mit dem Vorläufigen versöhnen, dass wir Schönheit und Würde im Unvollkommenen finden, dass wir weder unser eigenes Leben noch das der anderen retuschieren müssen, sondern sein und leben lassen können.

Bild: Michelangelo Merisi, gen. Caravaggio: Der ungläubige Thomas, (c) Wikimedia