Jeder zweite Deutsche hat Angst vor dem Coronavirus, so eine aktuelle Umfrage. Die Angst dürfte ähnlich exponentiell wachsen wie sich das Virus verbreitet. Der heutige vierte Fastensonntag »Laetare«, das heißt: »Freut euch«, hält für uns die Botschaft bereit, dass wir uns nicht ängstigen müssen, sondern mit offenen Augen und offenen Herzen die Herausforderungen meistern können, die vor uns liegen.
Hier findet ihr Texte aus dieser Blauen Stunde zum Nachlesen.
In jener Zeit 1 sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. 6 Da spuckte Jesus auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen 7 und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.
8 Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? 9 Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es.
13 Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. 14 Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. 15 Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich, und jetzt kann ich sehen.
16 Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen. 17 Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet.
34 Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus. 35 Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? 36 Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube. 37 Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. 38 Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
An den langen Tischen der Zeit
zechen die Krüge Gottes.
Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden,die Herzen der waltenden Schatten,
Paul Celan, Die Krüge (1949), aus: Die Gedichte. Neue kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann, Frankfurt : Suhrkamp 2018, S. 51
die hohle Wange des Abends.
Sie sind die gewaltigsten Zecher:
sie führen das Leere zum Mund wie das Volle
und schäumen nicht über wie du oder ich.
Hoch geht es her in der Szene, die diese Zeilen von Paul Celan schildern: ein gewaltiges Gelage wird gehalten – mit einem geheimnisvollen Gastgeber. Gott selbst ist es, der aber in Person gar nicht auftritt, sondern sich bedeckt hält und nur einen verstohlenen Blick in seinen himmlischen Festsaal gestattet.
Es ist ein Gott, der völlig unberührt scheint vom Schicksal seiner Geschöpfe und ihre Leiden nicht beachtet. Gott ist gleichgültig gegenüber unserem Beten und Bitten. Weit weg von uns führt er sein eigenes Leben und bedarf unser nicht.
Und auch wir Menschen können nichts tun, um Gott zu erreichen: Ob wir blind und unwissend durchs Leben gehen, oder ob wir meinen, ein wenig von der Welt gesehen zu haben – es ist egal. Am Ende werden unsere Augen und Herzen leer getrunken. Am Ende holt jeden von uns sein Schicksal ein. Leer oder voll, das macht für Gott keinen Unterschied. Er schäumt nicht über. Er kennt keine Leidenschaft, die ihn in Wallung bringt, keinen Zorn, aber auch kein Mitleid. Warum sollte er sich da in unserer Welt und für uns Menschen engagieren?
Keine Frage, dass viele Menschen Gott gerade so erfahren haben: als einen, der kein Interesse für sie hat. Und ein Blick auf unsere Wirklichkeit scheint dem Recht zu geben: Die Bilder aus Italien erschüttern uns: Menschen, die am Coronavirus erkrankt sind, können nicht ausreichend behandelt werden und die Angehörigen wissen nicht einmal mehr, wie sie ihre Toten bestatten.
Aber auch andere Geschehnisse vermitteln uns den Eindruck, dass das Weltgeschehen aus dem Ruder läuft: der Umbruch des Klimas geht weiter. An den Grenzen Europas harren unzählige Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen aus und sind durch das Coronavirus noch ungleich stärker bedroht als wir.
Kümmert Gott das nicht? Manche Fanatiker meinen sogar, er hätte die gegenwärtigen Krisen als Strafe über uns verhängt. –
Das Evangelium heute belehrt uns da eines Besseren. In Jesus zeigt Gott sich als einer, der sogar ganz hinschaut. Jesus sieht den Mann, der seit Geburt blind war und der von allen anderen übersehen worden ist.
Das stellt sich die Frage, wer hier eigentlich blind ist: die Menschen um ihn herum ganz offenkundig weitaus mehr als der Blindgeborene selber. Sie sind blind für seine Not, tun so als würde er gar nicht existieren. Und selbst als Jesus ihn geheilt hat, nehmen sie ihn nur als Störenfried wahr, der ihr religiöses Weltbild auf den Kopf stellt.
In der Begegnung Jesu mit dem Blinden zeigt sich, dass Gott alles andere als gleichgültig ist. Im Gegenteil: er ist voller Leidenschaft für das Leben. Und er scheut auch nicht den Konflikt, wenn es gilt, sich für die Schwachen einzusetzen.
Aber für das Handeln in dieser Welt braucht Gott unsere Augen. Wir müssen hinsehen und die Nöte unserer Mitmenschen wahrnehmen.
Ob das nun ältere oder vielleicht seelisch angeschlagene Menschen sind, denen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens große Probleme bereiten; oder ob es um die vielen Notlagen der Menschen in den weniger wohlhabenden Ländern geht: es ist wichtig, dass wir das wahrnehmen und dann auch entschieden etwas dagegen tun.
Das können wir auch unter den gegenwärtigen Umständen. In unserer Hochschulgemeinde möchten wir aktiv werden und starten z.B. eine Aktion zur Unterstützung älterer Mitmenschen. Und wir überlegen gerade, wie wir uns online vernetzen, um untereinander Kontakt zu halten und voneinander zu wissen. Bitten wir Gott um offene Augen und ein offenes Herz, damit alle das tun, was sie können.
Bild © Scott Summers